Veröffentlicht am 16.10.2017 in der Kategorie Allgemein zur Übersicht
Im Biologieunterricht sagte mein Lehrer: «Die Luft ist überall». Ich bin mir sicher, heutzutage sagen Informatiklehrer den selben Spruch über Smartphones. Sobald ich, an einem öffentlichen Ort, die Augen öffne, sehe ich ein Smartphone. Hat es an dem Ort zurzeit keine Menschen, sehe ich bestimmt eine Werbung mit einem solchen Wundergerät.
Ich bin 24h Stunden auf dem Laufenden. Möchte ich etwas wissen, zücke ich mein Smartphone und frage Google nach Hilfe. Ich kann jeden jederzeit kontaktieren und werde durch Bilder und Videos aus Gruppenchats aufgeheitert. Ich kann stets aktuelle Stelleninserate prüfen, werde sogar angefragt, ob ich einen neuen Job möchte. Die Vorteile von Mobiltelefonen kennt jeder, also möchte ich hier auf die negativen Seiten dieser Entwicklung eingehen.
Das Zwischenmenschliche verliert an Bedeutung
Die hübsche Frau im Bus, direkt vor mir, hat den Kopf gesenkt. Sie hat ein Foto auf Instagram hochgeladen und wartet verzweifelt bis die ersten Likes eintreffen. Die Likes machen sie glücklich, ohne kann sie wohl nicht mehr leben. Es ist zu einer Sucht geworden im Internet Anerkennung zu finden. Würde sie für einen Moment den Kopf heben und sich in die reale Welt begeben, würde sie all die Likes aus der realen Welt bemerken: Menschen die sie anschauen, ihr ein Lächeln schenken. Vor 10 Jahren würde sie wohl von allen (zumindest den Männern) im Bus angelächelt worden sein, heute sind das noch die rund 5 Prozent, die nicht auch lieber mit gesenktem Kopf die reale Welt verdrängen. Das Handy ist eine Art Schutzwall zur Aussenwelt geworden. Auf den Köpfen der Leute steht förmlich: «Ich möchte nichts mit euch zu tun haben, ich habe doch mein Handy.». Erinnerst du dich noch? Früher hatte man dafür eine Zeitung. Diese musste man nicht aufladen und sie hat sogar noch vor Regen geschützt.
Der Mensch wird unbedeutend
Wenn du mit Freunden essen gehst, welchen Stellenwert hat dann dein Smartphone? Hast du es in der Tasche? Schaust du regelmässig, ob neue Nachrichten eingetroffen sind? Liegt es sogar auf dem Tisch? Nehmen wir an du legst dein Telefon während einem Gespräch auch den Tisch. Dann sagt dies doch nur folgendes aus: Du wartest darauf, dass etwas Wichtigeres als dein Gesprächspartner eintrifft. Eine Nachricht zum Beispiel. Eine Push Meldung. Du degradierst deinen Gesprächspartner hinter dein Mobiltelefon. Wenn jemand mit dir spricht und dein Handy vibriert, ist dir dann die reale Person weniger wichtig als der Grund, wieso das Smartphone vibriert hat? Ziehst du (die Chancen sind gross) ein lustiges Bild aus dem Gruppenchat deinem Gegenüber vor?
Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit. Nach der Schule hat man sich zu einer bestimmten Zeit verabredet. Das Wort hat gezählt, verabredet ist verabredet – man hatte ja auch nicht die Möglichkeit dies rückgängig zu machen. Heute ertappe ich mich immer wieder selber dabei, wie ich einfach kurz per Nachricht einen persönlichen Kontakt verschiebe oder direkt eine kalte Absage erteile. Durch die Smartphones verliert der Mensch an Wert. Wir schenken unserem elektronischen Freund mehr Aufmerksamkeit und Wichtigkeit als unseren realen Freunden. Durch die sozialen Medien kann ich mit meinem Smartphone sogar sofort Mitleid erhalten, wenn es mir nicht gut geht. Job nicht erhalten? Handy zücken, Statusmeldung raus, Mitleid der weiten Welt aufsaugen. Die Tränen muss man sich dann jedoch immer noch selber abwischen – vielleicht gibt’s ja bald eine App dafür.
Arbeit kommt vor Leben – die Zeit rennt
Die Emails flattern 24 Stunden am Tag direkt aufs Handy. Ich bin nicht nur im Büro ansprechbar, sondern auch abends. Die Erholung kommt deutlich zu kurz. Es ist den Menschen nicht mehr möglich abzuschalten und sich von der Arbeit zu erholen. Jederzeit kann ein geschäftlicher Anruf nach der Arbeitszeit eintreffen – gehst du ran?
Abends liegst du im Bett, das Handy direkt neben dem Kopf, schliesslich hast du tagsüber noch nicht die volle Ladung Strahlung abbekommen. Wenn du nicht gleich in den ersten 3 Minuten einschläfst, hältst du das Smartphone bereits wieder in deinen Händen, dein Gehirn wird aktiver und mit Schlafen wird es jetzt sowieso nichts mehr.
Wie oft kommt es vor, dass ich in meiner Freizeit gerne etwas erledigen würde, mir jedoch mein Smartphone in die Quere kommt? Ich denke mir dann: «Nur noch kurz dieses Video anschauen...», ein paar Stunden später hat der Supermarkt geschlossen und ich bestelle mir halt eine Pizza. Natürlich direkt mit dem Smartphone – online, Anrufen wäre ja persönlicher Kontakt. Der kleine Zeitfresser hat mich mal wieder komplett aus dem Konzept gebracht.
Nicht nur ein team, sondern dasteam
Ich bin froh in einem Umfeld arbeiten zu dürfen, in welchem zwischenmenschliche Apsekte nicht nur erwünscht sind, sondern vorgelebt werden. Wir versuchen den Kopf zu heben und nicht zu senken, mit Personen zu sprechen, unternehmen gemeinsam etwas. Wenn mich jemand von der Arbeit nach Feierabend anruft, dann will er etwas trinken gehen und nicht über das Geschäft sprechen.
Vom Aussterben bedroht
Es gibt sie noch, die Helden der Neuzeit. Sie besitzen kein Smartphone, lediglich ein normales Mobiltelefon. Es kann telefonieren und SMS versenden, der Akku muss gefühlt nie aufgeladen werden. Die edlen Ritter sprechen mit Menschen, schenken ihnen Zuneigung und Aufmerksamkeit. Diese Gattung ist jedoch vom Aussterben bedroht. Dann gibt es noch den Mythos derjenigen, welche gar kein Mobiltelefon besitzen, man kann sie als die Einhörner der Gegenwart bezeichnen – ich träume davon zumindest ein Held zu sein.
Helden mit Smartphones
Kann ich trotz Smartphone zum Helden werden? Na klar! Hier ein zwei Vorschläge:
Warten du und andere Teilnehmer einer Sitzung, bis es losgeht? Im Normalfall sind alle an ihren Smartphones. Versucht diese beiseite zu legen. Die wenigen Minuten vor den Sitzungen sind für die Teambildung enorm wichtig. Kurze Gespräche wie: «Wie läuft’s im Projekt, kann ich helfen?» oder «Du bist doch umgezogen, hast du dich gut eingelebt?» fördern den Zusammenhalt. Genau in solchen Situationen entstehen wirkliche Teams, da das Zwischenmenschliche gefördert wird.
Wenn du mit deinen Freunden am Abend etwas trinken gehst, werft all eure Telefone in eine Schüssel. Falls jemand trotzdem zu seinem Gerät greift, bezahlt er die Rechnung für alle. Dies wird bei den Gesprächen eine ganz andere Dynamik hervorrufen, da die Personen wieder zu hundert Prozent im Mittelpunkt stehen. Vielleicht fängt auch einer zu zittern an, wenn er sein Smartphone mal ein zwei Stunden nicht zu sehen bekommt...
Kaufe dir einen Wecker! Klingt komisch, ist aber so. Lasse das Smartphone im Wohnzimmer, lade es da. Es hat im Schlafzimmer nichts verloren. Beobachte dein Schlafverhalten für einige Wochen, du wirst sehen, es ändert sich zum Positiven.
Hebe deinen Kopf! Dies ist ein Rat unabhängig vom Smartphones. Schaue in die Welt hinaus, nicht auf dein Smartphone. Es gibt so viel zu sehen, zu entdecken und es warten so viele reale Bekanntschaften auf dich. Diese Gelegenheiten solltest du nicht verpassen!
Roger Tobler